Interview mit Regisseur Thomas Riedelsheimer
Sie haben vor 16 Jahren „Rivers and Tides – Andy Goldsworthy Working With Time“ gedreht. Hat der weltweite Erfolg des Films die weitere Arbeit von Andy Goldsworthy beeinflusst?
Ob der Filmerfolg die Arbeit von Andy beeinflusst hat, kann ich nicht sagen, seine Bekanntheit hat er vielleicht schon gesteigert. Und er hat mit „Rivers and Tides“ auch den Film für sich entdeckt. Nachdem er inzwischen auch digital fotografiert, kann seine Kamera natürlich auch Filme aufzeichnen. Das nutzt er, zumal ihn die Möglichkeit, Bewegung und Zeit einzufangen, ja immer interessiert hat.
Waren Sie nach „Rivers and Tides“ immer mit Andy Goldsworthy in Verbindung?
Nein, wir hatten jahrelang keinen Kontakt mehr. Andy ist auch nicht der Typ, der viel „socializing“ betreibt. Erst vor sechs Jahren haben wir uns beim Dreh zu meinem Film „Breathing Earth“ wieder einmal in Schottland getroffen. Und wir hatten beide gleich ein Gefühl großer Vertrautheit. Das war schon unheimlich, ganz so, als ob wir uns erst gestern verabschiedet hätten. Wir konnten sozusagen da anknüpfen, wo wir aufgehört hatten.
»Es gibt viele Widersprüche in dem, was ich mache. Es ist schwer, das genau auszudrücken, was ich sagen will. Ich denke, als ich jünger war, habe ich einfach so gearbeitet, mit der Natur, ich habe diese Skulpturen gemacht. Es war ein bestimmter Ablauf. Jetzt denke ich: Die Natur ist überall, man muss das gar nicht erwähnen. Wenn ich in der Stadt arbeite, arbeite ich mit der Natur, wenn ich mit mir selbst arbeite, arbeite ich mit der Natur. Es ist nicht mehr so klar. Im Grunde will ich immer noch einfach nur die Welt verstehen.« [Andy Goldsworthy]
Was hat Sie beide dazu bewogen, über einen neuen Film nachzudenken?
Ich denke, wir hatten die Idee beide ziemlich zeitgleich, kurz nachdem wir uns wieder getroffen hatten. Für mich bleibt Andy einfach sehr spannend, und er mag wohl auch meine Anwesenheit und meine Art, seine Kunst umzusetzen. Es hat uns aber sicher ein Jahr Zeit gekostet, bis wir uns dann wirklich dazu durchgerungen haben. „Rivers and Tides“ war einfach ein großer Meilenstein, Andy sagt dazu: „Ein Segen und ein Fluch“. Und keiner von uns wollte nur einen zweiten Teil, einen Neuaufguss, ein „Rivers-and Tides–Reloaded“. Es musste schon etwas Anderes werden.
Was war Ihr Fokus für „Leaning into the wind“? War Andy Goldsworthy an der Entwicklung des Konzepts beteiligt?
Es ist einfach spannend zu sehen, wie seine Kunst mäandert. Neue Aspekte – von denen manche in Wirklichkeit uralte Aspekte aus seiner Studentenzeit sind – kommen ins Spiel. Seine Sachen sind dunkler geworden, schwerer. Das hat auch mit einigen privaten Turbulenzen in seinem Leben seit „Rivers and Tides“ zu tun. Wir wollten mit dem neuen Film schon auch ein bisschen den Teil seiner Fangemeinde überraschen, der nur seine bunten, dekorativen Herbstblatt-Kreationen kennt. Andy hat ein großes Problem mit der allgemeinen Auffassung von Natur als einem lieblichen, heilen Ort, der uns vom Großstadtstress heilt. Für ihn ist Natur auch brutal, dunkel und mächtig. Insofern trafen sich für mich bei „Leaning into the Wind“ mein altes Interesse und ein neuer Fokus. Wir sehen Andy mit Maschinen, beim Spalten von Steinen, bei der Arbeit an großen Projekten – und im Umgang mit Menschen. Was sich außerdem als Thema für mich herauskristallisiert hat, ist der Generationenwechsel. Seine älteste Tochter Holly ist momentan seine Assistentin, und mein Sohn Felix war mein Assistent. Dieses sehr sichtbare Zeichen von Veränderung und Vergänglichkeit wurde ein eigener Teil des Films.
Über welchen Zeitraum erstreckten sich die Dreharbeiten? Wie haben Sie die Projekte von Andy Goldsworthy ausgewählt?
Das kann ich gar nicht mehr sagen, weil ich irgendwann einfach angefangen habe zu drehen. Insgesamt kann man vielleicht von fast drei Jahren Dreharbeiten sprechen – natürlich mit vielen Zwischenräumen. Über die Projekte haben wir gemeinsam gesprochen und entschieden. Er hat mich einfach auf dem Laufenden gehalten. Einige vielversprechende Projekte, zum Beispiel in Brasilien oder Gabun, sind dann leider im Sand verlaufen, andere sind dazu gekommen, wodurch der Film neue Wendungen bekommen hat.
Was waren Ihre Überlegungen hinsichtlich der visuellen Umsetzung?
Im Prinzip habe ich einige Ideen von „Rivers and Tides“ übernommen. Ich hatte wieder Kran und Stabilisierungssyteme dabei, außerdem habe ich wieder eine Kamera bei Andy gelassen, die dann Holly manchmal benutzt hat. Ansonsten gab es für die einzelnen Projekte oft spezielle Anforderungen. Einen mit Lehm ummantelten, trocknenden Baum haben wir zum Beispiel eine Woche lang mit drei Fotokameras per Zeitraffer aufgenommen. Aber ein Großteil ist klassisch beobachtet.
Haben Sie sich mit Andy Goldsworthy während der Dreharbeiten über die Arbeit am Film und das gedrehte Material ausgetauscht?
Wir haben uns natürlich oft und viel ausgetauscht. Andy schätzt diese Art von Austausch sehr, ich denke, dass er deshalb auch in den Film eingewilligt hat. Und ich glaube, dass ich ihn auf einer gewissen Ebene sehr gut verstehe, was ihm nicht bei vielen Menschen so geht. Er hat während der Arbeit am Film hin und wieder Samples von den Dreharbeiten gesehen, die ich geschnitten hatte, um mich bei manchen Unterstützern zu bedanken – und weil es auch einfach Freude machte. Von dem eigentlichen Film hat er erst eine ziemlich finale Schnittfassung gesehen. Wir hatten ein Kino in Edinburgh gemietet und ihm die Version gezeigt. Ich war noch nie so nervös vor einer Sichtung. Es war einfach eine verdammt hohe Hürde, weil wir beide sehr anspruchsvoll und obsessiv sind. Es lief aber wunderbar, und er war sehr glücklich mit dem Film.
»Bei jeder Arbeit mit dem Wind gibt es diese wunderbare Spannung. Dieser Moment, wenn man schwebend in der Balance gehalten wird, ist wunderschön. Das sind die Momente, für die ich kämpfe, bei allem, was ich tue. Die Momente, in denen etwas in diesem Gefühl der Balance gehalten wird. Es ist ein Moment des Verstehens und der Klarheit, in einer sehr chaotischen Situation. Ich denke, eine gute Arbeit ist dieser Moment der Klarheit. Es ist nicht der Moment des Mysteriums. Es ist wie ein Lichtstrahl, der durchdringt, einen Moment lang ist alles klar, und dann wird es wieder unklar. Diese Momente sind sehr erstaunlich. Man kann sie nicht erklären, es ist nichts, was man in Worte fassen kann. Aber wenn man sein Leben überdenkt, wird man bestimmte Momente finden, in denen sich alles sehr klar und schön anfühlte, in denen alles Sinn ergab.« [Andy Goldsworthy]
Sehen Sie eine innere Verbindung zwischen Ihrer Arbeit und der von Andy Goldsworthy?
Ich denke schon, dass wir eine innere Verbindung haben. Ich lerne viel von ihm und von seiner Art die Welt zu sehen. Und vielleicht stimmt das auch anders herum ein kleines bisschen. Das Drehen mit ihm war jedenfalls ausgesprochen angenehm und harmonisch. Und wir haben schon beschlossen, uns in 15 Jahren wieder zu sehen, vielleicht kommt ja dann nochmal ein Film zustande...
War Fred Frith, mit dem Sie bereits bei „Rivers and Tides“ zusammengearbeitet haben, von Anfang an für die Filmmusik gesetzt?
Wir haben anfangs noch ein paar andere Gedanken verfolgt, aber letzlich war es relativ schnell klar, dass Fred Frith die Musik machen sollte. Als ich ihm den Schnitt von „Leaning into the Wind“ gezeigt habe, hat er auch sofort zugesagt. Letztlich gefällt ihm der neue Film sogar noch besser als „Rivers and Tides“. Er hat sinngemäß den schönen Satz gesagt: In „Rivers and Tides“ sieht man, wie ein Künstler Kunst macht. und in „Leaning into the Wind“ sieht man, wie ein Künstler tickt.
Der Soundtrack ist schließlich zum fertigen Film entstanden. Fred hat Scores geschrieben, die dann in Stuttgart im Tonstudio Jankowski von Fred und befreundeten Musikern eingespielt wurden. Wie schon bei „Rivers and Tides“ war es für mich ein Erlebnis, Fred beim Arbeiten zu erleben. Er ändert seine Kompositionen ständig oder erfindet sie auch ganz neu, er ist einfach ein unerschöpflicher Quell musikalischer Inspiration – und zudem ein unglaublich angenehmer Zeitgenosse. Es war wunderbar, ihn und Andy zusammen bei der Premiere in Edinburgh zu erleben.
Warum haben Sie sich für den Filmtitel „Leaning into the wind“ entschieden?
Wir hatten viele Ideen. „Leaning into the Wind“ gefiel uns dann allen recht gut, weil der Titel symbolisch dafür steht, was Andy macht. Er setzt sich aus, benutzt seinen Körper, will spüren. Und ich mag die Schlußsequenz im Film sehr gerne...